Am Freitag Morgen um 6 brechen wir zum WSW-Sporn (4c) auf, einer Tour auf den 1. Südgratturm (2926 m) ohne fixes Sicherungsmaterial mit 8 Seillängen, 240 m. Außer leichten grauen Abnutzungen am Fels und 3 Normalhaken finden wir keine Anzeichen auf frühere Begehungen, doch wir finden den richtigen Weg. Der Granit ist nicht immer fest und so klettern wir vorsichtig. In der vierten Seillänge ist der Fels steil, ich finde in einem Schulterriss rechts wenig Halt, der linke Fuß steht auf einem kleinen Tritt, ich will zurück klettern doch der linke Fuß rutscht ab, ich falle und schreie, ein Sturz etwa 5 Meter im alpinen Gelände. Die Zwischensicherung mit meinem gelben Camalot hält, außer ein paar Kratzern am Schienbein und Ellbogen ist mir nichts passiert, die Sicherungskette hat gehalten, der Puls rast, Roland fragt besorgt „alles in Ordnung?“. Das ist mir noch nie passiert und in dem Gelände ist Stürzen tabu. Bei Roland ist das Seil am Stand nur etwa 10 cm durch die HMS gerutscht, ich stand vor dem Sturz etwa 1,5 m über der Sicherung, der Fels nimmt viel Reibung auf.
Ich finde schnell meine sonst sehr stabile Vorstiegsmoral zurück, wir klettern weiter zum Gipfel des Sporns, halten uns aber nur ganz kurz auf, da wir beide großen Respekt vor dem Abstieg haben. Wir gehen kein Risiko ein, sichern vom Gipfel hinunter, Gelände 2a und richten an einem Block eine Abseilstelle ein. Es sieht nicht so aus, als wäre hier in letzter Zeit jemand geklettert. Nach zwei Stunden erreichen wir das Stockhornbiwak, im Hüttenbuch lesen wir, dass diese Tour nur eine Begehung pro Jahr erfährt, die meisten Seilschaften klettern den Südgrat oder die Überschreitung der fünf Türme des Stockhorns.
Nach einer Mittagspause seilen wir über den gesicherten Steig ab und wandern in 3 Stunden hinauf zur Baltschiederklause, dieser urigen Hütte auf 2783 m die wir vom letzten Jahr noch in sehr guter Erinnerung haben. Um 3:30 starten wir zur Baltschiederlücke, um 6:15 bestaunen wir den Sonnenaufgang eines schönen Tages, eine Aussicht auf die Berner und Walliser Bergwelt. Es hat sehr wenig Schnee, das Firnfeld zur Lücke ist praktisch nicht mehr vorhanden, der Gredetschtgletscher auf der Rückseite ist aper. Wir verlieren keine Zeit, der Gipfel des Nesthorns (3821 m) lacht zu uns herunter. Als wir auf dem aperen Gletscher etwa 40 Grad steil ansteigen kommt bereits die Sonne in den linken Teil. Es lösen sich plötzlich große Steine, die links von uns in die Tiefe sausen. Ich treffe sofort die Entscheidung, Roland ist meiner Meinung, wir weichen nach rechts aus und steigen ab – das Risiko ist zu groß und unkalkulierbar.