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Unterwegs im Kletterparadies der Dorées

Klettern im rötlichen Dorées-Granit im nördlichsten Zipfel des Mont-Blanc-Massivs.

05.08.2023

Fünf Tage verbrachten zwei Mitglieder der Alpenvereins-Sektion Freudenstatt um das Dorées Biwak mit Felsklettern in einer märchenhaften Welt.

Reise nach Champex

Am Samstag, den 5. August 2023, machten Karl und ich uns mit vollgepackten Rucksäcken auf den Weg ins nördliche Mont-Blanc Gebiet auf der Schweizer Seite. Im Gepäck hatten wir Essen für 5 Tage für einer Selbstversorgerhütte vernab der Zivilisation, die sich zwar Dorées-Biwak nennt, jedoch eher die Bezeichnung Hütte verdient hat. Dazu kam noch jede Menge metallische Ausrüstung, die man eben so braucht, um im Gebirge zu klettern. Trotzdem hatten wir den Anspruch, möglichst klimaschonend anzureisen und so stiegen wir an der Schweizer Grenze vom Auto um auf öffentlichen Verkehrsmittel.

Mit Blick auf den Rheinfall bei Schaffhausen fuhren wir über Zürich, Fribourg, Bern, Lausanne nach Martigny. Von dort mit kleineren Bahnen und zuletzt dem Bus nach Champex-Lac und Télésiege, einer kleinen Seilbahn nach La Breya. Diese Anreise ließ die Vorfreude auf die kommenden Tage noch einmal wachsen, da schon unterwegs einige Felswände einladend auf uns herunterschauten.

Aufstieg über den Orny-Gletscher

Von meinem letzten Besuch 2015, also vor acht Jahren, wusste ich schon, was uns ungefähr erwartete, nämlich ein überaus langer Zustieg. Anfangs begegneten wir noch einigen Bergwanderern oder Bergsteigern, die auf dem Hüttenaufstieg zur Orny- oder Trient-Hütte unterwegs waren.

Bei der Orny-Hütte erzählte ich Karl davon, wie wir das letzte Mal ein kaltes Bad im teilweise noch zugefrorenen See genommen hatten. Heute jedoch ist ein „Baden verboten“-Schild angebracht, da die Hütte den See für die Entnahme von Trinkwasser nutzt.

Gleich nach der Hütte stiegen wir über die Seitenmoräne auf den Glacier d‘Orny ab, um diesen erst längs entlang zu laufen und danach in Richtung Dorées zu queren. Einige Spalten wurden großzügig umgangen und plötzlich tauchten die monolitischen Felszacken der Dorées-Gruppe auf. Wie aus einem Meer aus Schnee und Eis ragen die steilen Nordwände der Kette in die Höhe und man kommt ihnen langsam näher. Vor vielen Jahren sahen so wohl auch die Gipfel der heutigen Viertausender aus, als diese noch von Gletschern geformt wurden.

Ankunft auf dem Biwak

Am linken Rand gibt es am Col des Plines (3250 m) einen windverwehten Firngrat, den man gut als Übergang auf die Südseite der Dorées-Gruppe benutzen kann. Von dort taucht es plötzlich auf, das Bivouac de l‘Envers des Dorées und nach einer knappen halben Stunde ist der Zustieg geschafft.

Wir waren an diesem Abend die einzigen Gäste. Kurz nachdem wir eingetroffen waren, begann es allerdings zu regnen. Vielleicht war das der Grund, warum außer uns niemand den Aufstieg unternommen hatte?

Das Biwak ist außen dunkel und einfach. Betritt man jedoch die linke Hälfte, für die eine Anmeldung mit Reservierung notwendig ist, befindet man sich in einer wunderschön eingerichteten Berghütte. Überall helle Holzverkleidung, eine kleine Küche mit Gasherd und Backofen, ein massiver Holztisch mit eingelassener Karte und kleinen Hockern. Diese wunderbare Unterkunft wurde 1993 von der Schweizer Alpenvereins Sektion Dent-de-Lys gebaut und liegt in einer traumhaft schönen Umgebung.

Rest Days are Best Days

Uns störte das jedoch nicht im Geringsten. Nach dem Motto „Rest days are best days“, der Kletterer im Yosemite Valley genossen wir in vollen Zügen die Freiheit in diesem abgelegnen Paradies. Aus einem Apfel, ein paar Haferflocken, Bergkäse und Gewürzen zauberten wir ein leckeres Mittagessen mit gebackenen Paddies, dazu ein regionaler Rotwein, was will man mehr. Auch die Tatsache, dass es keinen Handy-Empfang gibt, verstärkte nur noch mehr das Gefühl von Freiheit in dieser Umgebung.

Winter is back

Gegen 14 Uhr legte sich der Sturm und wir fassten den Entschluss, das Massiv der Dorées zu erkunden und dazu einmal zu umrunden. Schon nach kurzem setzte erneut Schneefall und Sturm ein und wir befanden uns nun mitten im August in einem sehr winterlichen Sturm auf einem mit Neuschnee bedeckten Saleina-Gletscher. Aus einer kurzen Wanderung wurde nun eine ernste Angelegenheit und wir waren bis zum Abend unterwegs und froh, als wir wieder im Biwak ankahmen. Selbst im tiefsten Winter hatten wir so einen Sturm bei uns daheim im Schwarzwald selten erlebt.

Dort hatten sich in der Zwischenzeit vier Kletterer aus Österreich und zwei aus der französichen Schweiz eingefunden. Wir waren nun eine internationale Gruppe und unterhielten uns meist auf Englisch.

In der Nacht stürmte es weiter und da die Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt lagen, erwartete uns am nächsten Morgen ein traumhaft schöner Wintertag.

Hätten wir die Eisfallkletter-Ausrüstung dabei gehabt, wäre das ein idealer Tag geworden. Doch an Felsklettern war trotz des blauen Himmels und Sonnenscheins zunächst nicht zu denken.

Nach dem Frühstück entschlossen wir dennoch, eine Begehung der Route „Dorées les Ballades“ versuchen, eine Route im 7. Schwierigkeitsgrad.

Tajabone - Alpinklettern at its best

Angekommen unter der steilen Wand der Aiguille sans Nom, der namenlosen Nadel holte uns jedoch die Realität ein. Die Wand war noch voller Neuschnee und Eiszapfen. Unter diesen Bedingungen schien es unmöglich, diese nur spärlich abgesicherte Route zu klettern.

Auch die zweite französich sprechende Seilschaft war suchend am Wandfuß unterwegs und wagte den Einstieg in ihre Route nicht.

Wir beratschlagten und fassten den Entschluss, stattdessen die „Tajabone“ zu versuchen, einer 5-Sterne-Tour, die ich bei meinem letzten Besuch schon geklettert war. Konstant führt diese in 7 Seillängen im Grad 6+ auf einen exponierten Gipfel.

Auch diese Route war noch eisig und feucht, jedoch war die Entscheidung gut und wir konnten Seillänge für Seillänge hinter uns bringen. Das besondere der Dorées-Kletterreien ist der überaus kompakte, rötliche Granit. Die Route ist überaus abwechslungsreich und beinhaltet die verschiedensten Arten von Kletterreien. Die Sterne hat sie verdient und die Traumtour ist überaus zu empfehlen. Glücklich über dieses Abenteuer genossen wir den Blick auf die schneebedeckten Berge der Mont-Blanc Region, Aiguille du Chardonnet, Aiguille d‘Argentière, Mont Dolent sowie den massiven Klotz des Grand Combin.

Aiguille sans Nom Südgrat und Dorées-Überschreitung

Zurück im Biwak tauschten wir die Erlebnisse mit den anderen Kletterern aus. Es war eine gute Gemeinschaft unter Gleichgesinnten. Ein Pärchen aus der Schweiz war noch dazugekommen und so waren wir nun zu zehnt im Biwak.

Gemeinsam beratschlagten wir die Pläne für den nächsten Tag aus. Das Schweizer-Paar wollte die „Eole danza per noi“ an der Aiguille de la Varappe versuchen, einer Perle der Dorées. Ebenfalls an dieser Wand hatten sich die beiden französisch sprechenden Schweizer die Route „C‘est Mozart qu‘on assassine“ ausgesucht. Zwei Österreicherinnnen entschieden sich für die Tajabone und Karl und ich für den Südgrat auf die Aiguille sans Nom mit anschließender Dorées-Überschreitung.

Das war eine gute Entscheidung. Mit kurzem Zustieg erreichten wir zunächst den direkten Einstieg auf einen Vorturm. Diese Besteigung brachen wir nach einigen Metern ab, da die Absicherung der breiten Risse mit unseren Klemmgeräten nicht möglich war. Weiter ging es am eigentlichen Grad in perfektem Fels.

Die Schwierigkeiten namen zu und in einer atemberaubenden Rissseillänge hörte ich von oben den Ruf „Olli, das ist die schönste Seillänge, die ich in meinem Leben geklettert bin!“. Es war ein Traum, hier in dieser Umgebung solche Erlebnisse zu haben. Wir erreichten den Gipfel der Aiguille sans Nom. Ein paar hundert Meter Luftlinie entfernt tauchte plötzlich eine Österreicherin am Gipfel der Tajabone auf und wunderte sich nicht schlecht, als wir „Thea“ hinunterriefen und sie winkte uns zurück.

Es schloss sich für uns noch der Weiterweg über die Gipfel der Dorées-Gruppe an, die Überschreitung von West nach Ost. Die Schlüsselstelle, die Copt-Verschneidung wird dabei durch Abseilen umgangen. Das war uns nicht unrecht, denn diese war vereist und die Verschneidung ist im Grad 6a nicht gerade einfach.

In teilweise exponierter Kletterei ging es nun links und rechts der Gratschneide entlang der Kette um am Ende auf der Nordseite auf den Trient-Gletscher abzuseilen. Dabei verklemmte sich das Seil an einer Schuppe und wir mussten eine Rettungsaktion starten. Das bedeutete Hoch-Prusiken am fixierten Seil. Dieses Manöver war eine gute Übung und unterstrich nur noch einmal, wie besonders die Anforderungen in dieser Umgebung sind, um diese genießen zu können.

Ein Alleingeher kam von der Trient-Hütte uns entgegen und konnte es kaum fassen, wie man in solchen Touren klettern kann. Auf seinen vielen Aufnähern waren namhafte Berge wie „Elbrus“, „Kilimandscharo“ u.s.w. zu lesen und ganz wichtig, „Never stop climbing!“.

An diesem Abend im Biwak mussten sich die Kletterer in den rechten Teil umquartieren, da sich eine Großfamilie eingemietet hatte. Mit Hund und Kegel waren sie angereist und wie sich herausstellte, waren auch einige Erbauer des Biwaks aus der Sektion Dent-de-Lys dabei. Sie waren natürlich vertraut mit der Hütte und so konnten wir uns freuen, ein paar Reste ihres gekochten Abendessens abzubekommen.

Heimreise

Am nächsten Tag hieß es Abschied zu nehmen und wieder in die Zivilisation abzusteigen. Die Heimfahrt mit Bus und Bahn klappte super, am Genfer See erinnerten wir uns an die Erzählungen von Fred Gaiser und Bertl Lehmann, die ihr Glück damals kaum fassen konnten, als sie dort ihre Füße ins Wasser hängten und zuvor unglaubliches im Mont-Blanc-Gebiet geleistet hatten.

Diese fünftägige Ausfahrt in diese wilde Region wird in unseren Herzen noch lange nachglühen.

Mit dabei waren Karl und Olli